Biskaya hat mir meine Mama zum Geburtstag geschenkt, nachdem es schon lange auf meiner Will-ich-lesen-Liste steht.
Namensgebend für den Roman ist Biskaya, in dieser Version der Welt eine Insel und Ort der Zuflucht und des Widerstands für Schwarze Europäer_innen. Biskayani konnten sich die EU-Bürger_innenschaft erkämpfen, doch die komplette Abtrennung vom europäischen Festland, das Biskaya für seine Rohstoffe schätzt, wird immer wieder ein Thema. Tue und Dwayne, denen die zwei Handlungsstänge folgen, haben beide Bezug zu Biskaya, leben aber in Deutschland und müssen sich mit den dortigen rassistischen Bedingungen herumschlagen.
Tue musste schon früh die Insel verlassen und zu ihrer Großmutter nach Berlin ziehen. Sie singt und schreibt gut bezahlt für eine Mackerband, in der sie sich eher für Diversitätspunkte benutzt fühlt und für die sie ihre Themen, Gefühle und Performance zurechtstutzen muss. Weder ihre Kolleg_innen noch der Großteil ihres Publikums wollen ihr Daseins als queere Schwarze neurodivergente Frau so genau mitbekommen, solange das sich nicht für ihre Zwecke instrumentalisieren lässt. Es geht um Gewalt, Überleben, Community und den fortlaufenden Gewinn und Verlust von Wahl- und Herkunftsfamilie.
Parallel dazu verfolgen wir Dwayne, der seinen vernünftigen Job unfreiwillig aufgeben muss und sich wieder der Fotografie widmet. Wie auch Tue findet er einen Weg zu seiner Wut über die rassistischen Zustände, denen er im Kunstumfeld genauso wie in der restlichen Welt ausgesetzt ist, aber auch Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit.
Die Umfelder der beiden überschneiden sich immer wieder und ein Zusammentreffen wirkt unausweichlich. Eine Ahnung, die den Plot sanft vorantreibt, aber nie die Geschehnisse im Leben der Charaktere überschattet.
Die Geschichte hat mich mitgerissen, aber auch berührt, so sehr, dass ich zwischendrin viel zu lange Pausen gemacht hab und ein bisschen aus dem Lesefluss rausgekommen bin, leider. Die großen Auseinandersetzungen der Protagonist_innen mit Kolonialismus und Rassismus kann ich nur aus nicht negativ betroffener, weißer Perspektive nachempfinden, und trotzdem war das Buch an verschiedensten Stellen ganz enorm emotional für mich. Nach Tues Gefangenschaft in einem Umfeld voller Gewalt musste ich eine Pause machen, weil ich das Gefühl hatte, mich nicht mehr ausreichend auf die Geschehnisse einlassen zu können. Als rassistische, homofeindliche und femininitätsfeindliche Anwandlungen eine Hand voll Akademiker_innen über Dwayne urteilen lassen, legte ich das Buch erstmal vor Wut ab. Die verlorenen und gewonnenen Wahlfamilien-Verbindungen verknoteten mir mein Innenleben auf die beste Art. Matth ist einfach wundervoll.
Biskaya ist einer der umwerfendsten und begeisterndsten Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Daneben ist es auch die Art queerer Geschichte, nach der ich mich so sehr sehne: Die Hauptfiguren sind alle sehr klar, zentral und nicht-nebenbei queer, und trotzdem geht es weder hauptsächlich um Liebesbeziehungen undoder Sex, noch ist es eine Problemgeschichte. Alle haben ihr Leben, ihre Struggles, und Queer-Sein ist einfach ein zentraler Teil davon. In diesem Punkt erinnerte es mich an den autobiografischen Manga Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit (hier hab ich den schoneinmal erwähnt), in dem es hauptsächlich um Depression und andere Probleme mit der psychischen Gesundheit geht, der mich aber überwältigte mit der Erkenntnis, wie sehr mir exakt diese Art queerer Erzählung gefehlt hatte.
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